Wird das Sportrecht vollständig dem EU-Recht unterworfen werden müssen?

Am 16. Januar 2025 hat Generalanwältin Tamara Ćapeta eine Stellungnahme zu den vom belgischen Court de cassation vorgelegten Vorabentscheidungsfragen abgegeben, in der sie das Sportrecht aus Sicht des europäischen Rechts bewertet. Die Stellungnahme wurde im Zusammenhang mit der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden „EuGH“) in der Rechtssache des belgischen Fußballvereins Royal Football Club of Seraing (im Folgenden „Fußballmannschaft“) mit dem Aktenzeichen C-600/23 abgegeben. Der EuGH wird sich somit erneut mit der Vereinbarkeit der FIFA-Regeln mit dem europäischen Recht befassen. Die Generalanwältin äußert in ihrer Stellungnahme auch ihre Meinung zur Entscheidungspraxis des Internationalen Sportgerichtshofs (im Folgenden „CAS“). Sie befasst sich grundsätzlich mit der Frage, ob die Entscheidungen des CAS durch nationale Gerichte unter dem Gesichtspunkt des EU-Rechts überprüft werden können. In ihrer Stellungnahme führt sie die Argumentation aus, wonach die Mitgliedstaaten im Falle eines CAS-Schiedsgerichtsbeschlusses, der europäisches Recht betrifft, die Befugnis haben sollten, den erlassenen Schiedsgerichtsbeschluss zu überprüfen, ungeachtet der Tatsache, dass es sich um eine „res judicata“ handelt.

Rechtssache C-600/23 Royal Football Club Seraing

Die FIFA hat am 18. und 19. Dezember 2014 „neue Regeln verabschiedet, die in die FIFA-Regeln zum Status und Transfer von Spielern (im Folgenden „RSTP“) aufgenommen werden sollen und sich auf den Besitz der wirtschaftlichen Rechte von Spielern durch Dritte und den Einfluss Dritter auf Vereine beziehen“.

Die neuen Regeln sahen ein Verbot des Erwerbs wirtschaftlicher Rechte an Spielern durch Dritte vor und untersagten den Abschluss neuer Vereinbarungen, die diesem Verbot zuwiderlaufen.

Trotz dieses Verbots schloss der Fußballverein am 30. Januar 2015 eine solche Vereinbarung mit der Gesellschaft Doyen Sports (im Folgenden „die Gesellschaft“). Auf der Grundlage dieser Vereinbarung sollten ausgewählte Spieler des Fußballvereins künftig finanziert werden, wobei das Unternehmen Eigentümer von 30 % der finanziellen Rechte dieser Spieler wurde. Später schlossen der Fußballverein und das Unternehmen eine zweite ähnliche Vereinbarung.

Die Disziplinarkommission der FIFA befand den Fußballverein daraufhin für schuldig, gegen diese neuen Regeln verstoßen zu haben, und zwar gerade wegen der oben genannten Vereinbarungen mit dem Unternehmen.

Die Berufungskommission wies die Berufung des Fußballvereins in dieser Angelegenheit zurück, weshalb gegen diese Entscheidung eine Schiedsklage beim CAS eingereicht wurde. Dieser kam in seiner Entscheidung zu dem Schluss, dass die betreffenden FIFA-Regeln gültig sind.

Gleichzeitig reichte das Unternehmen beim Tribunal de commerce francophone de Bruxelles eine Klage gegen die FIFA, die UEFA und die Union Royale Belge des Sociétés de Football Association ASBL (im Folgenden „URBSFA“) ein, der sich anschließend auch der Fußballverein anschloss. Es beantragte, dass das Gericht die neuen Regeln der RSTP-Vorschriften unter Berücksichtigung des Unionsrechts für ungültig erklärt. Das Verbot des Erwerbs wirtschaftlicher Rechte an Spielern durch Dritte verstößt ihrer Ansicht nach gegen das Recht auf freien Kapital-, Dienstleistungs- und Arbeitnehmerverkehr sowie gegen das Wettbewerbsrecht.

Das Gericht erklärte sich in dieser Angelegenheit für unzuständig, woraufhin der Fußballverein gegen diese Entscheidung Berufung einlegte. Der Fußballverein machte in seiner Berufung die FIFA, die UEFA und die URBSFA für den von ihm behaupteten Verstoß gegen das Unionsrecht haftbar. Er beantragte die Aufhebung der neuen Artikel der RSTP, die die oben genannte Problematik regeln.

Während des Berufungsverfahrens erließ das CAS eine Entscheidung in dem zuerst beschriebenen Schiedsverfahren, die einen wesentlichen Einfluss auf die Entscheidung des Berufungsgerichts hatte, das die Klage aufgrund der „res judicata“ abwies, ohne dass ein Vollstreckungsverfahren eingeleitet werden musste.

Der Fußballverein legte gegen diese Entscheidung Kassationsbeschwerde beim Gericht ein, das dem EuGH in dieser Sache Vorabentscheidungsfragen vorgelegt hat.

Das Gericht hat dem EuGH zwei Vorabentscheidungsfragen vorgelegt:

„1) Steht Art. 19 Abs. 1 [EUV] in Verbindung mit Art. 267 [AEUV] und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) der Anwendung nationaler Rechtsvorschriften wie Art. 24 und Art. 171[3] Abs. 9 des belgischen Code judiciaire (Gerichtsordnung), die auf die Sanktionierung des Grundsatzes der Rechtskraft abzielen, auf einen Schiedsspruch, dessen Vereinbarkeit mit dem Recht der Europäischen Union von einem Gericht eines Staates geprüft wurde, der nicht Mitglied der Europäischen Union ist und nicht befugt ist, dem Gerichtshof der Europäischen Union eine Vorabentscheidungsfrage vorzulegen?

2) Steht Art. 19 Abs. 1 [EUV] in Verbindung mit Art. 267 [AEUV] und Art. 47 [der Charta] der Anwendung einer nationalen Rechtsvorschrift entgegen, die vorbehaltlich des Gegenbeweises durch Dritte einem Schiedsspruch, dessen Vereinbarkeit mit dem Recht der Europäischen Union von einem Gericht eines Staates geprüft wurde, der nicht Mitglied der Europäischen Union ist und nicht befugt ist, dem Gerichtshof der Europäischen Union eine Vorabentscheidungsfrage vorzulegen, Beweiskraft in Bezug auf diese Personen zuerkennt?

Für das laufende Verfahren vor dem EuGH und dessen endgültige Entscheidung in der Sache können die Empfehlungen in der neu veröffentlichten Stellungnahme der Generalanwältin Tamara Ćapeta eine wichtige Orientierungshilfe sein. Über die Beantwortung der gestellten Fragen hinaus befasst sie sich allgemein mit der Frage des wirksamen Rechtsschutzes in Bezug auf Schiedssprüche im Sport.

Er äußert sich in dem Sinne, dass er eine Sonderregelung in Bezug auf Sportregeln vorschlägt, die in allen Fragen des Unionsrechts überprüfbar sein sollen, unabhängig von bestehenden CAS-Schiedssprüchen.

Der Grund für diese Erweiterung soll in der Art des Schiedsverfahrens vor dem CAS liegen. Das Schiedsverfahren ist in den FIFA-Regeln als ausschließlich festgelegt, sodass Sportler, Vereine oder Agenten nicht frei wählen können, Streitigkeiten vor dem CAS unter Ausschluss der Zuständigkeit der Gerichte zu entscheiden. Die Sportschiedsgerichtsbarkeit wird mit der Handelsschiedsgerichtsbarkeit verglichen, bei der die Parteien frei wählen können, Streitigkeiten durch ein Schiedsgericht entscheiden zu lassen. Dadurch wird die Anwendung bestimmter Regeln des Rechtssystems ausgeschlossen, jedoch nicht die Regeln der öffentlichen Ordnung.

Gleichzeitig soll auch die Selbständigkeit der FIFA bei der Vollstreckung der erlassenen Schiedssprüche ein Grund sein. Die Generalanwältin analysiert Situationen, in denen die FIFA bei der Vollstreckung von CAS-Entscheidungen autonom ist, wenn die durch die Entscheidung auferlegten Verpflichtungen nicht erfüllt werden. Die FIFA kann die Erfüllung der auferlegten Verpflichtungen selbst durchsetzen, indem sie beispielsweise einem Verein die Teilnahme an bestimmten Sportveranstaltungen untersagt, die Registrierung neuer Spieler verbietet, finanzielle Sanktionen verhängt oder andere Änderungen vornimmt, ohne sich an ein Gericht wenden zu müssen. Dies verhindert nach Ansicht der Generalanwältin die Überprüfung der erlassenen Schiedssprüche durch die ordentlichen Gerichte, die in den Mitgliedstaaten gleichzeitig befugt sind, deren Vereinbarkeit mit dem EU-Recht zu prüfen.

Ćapeta fordert daher den EuGH auf, seine Schlussfolgerungen aus der früheren Entscheidung International Skating Union zu erweitern und „eine eigenständige Rechtsprechung zur Frage der gerichtlichen Überprüfung von Schiedssprüchen zu entwickeln, die im Rahmen eines obligatorischen Schiedsverfahrens wie dem vom CAS auf der Grundlage der UEFA-Statuten durchgeführten Schiedsverfahren ergangen sind“.

Sollten die Vorschläge aus dem Gutachten der Generalanwältin in der Entscheidung des EuGH übernommen werden, könnte dies erhebliche Auswirkungen auf das Sportrecht als solches haben. Diese erhebliche Auswirkung ergibt sich aus der Tatsache, dass dem CAS durch eine Reihe von Rechtsvorschriften von Sportverbänden die ausschließliche Zuständigkeit für die Entscheidung von Streitigkeiten übertragen wurde.

Unserer Meinung nach sind die Vorschläge der Generalanwältin in dem in ihrer Stellungnahme dargelegten Umfang nicht akzeptabel, insbesondere angesichts der Besonderheiten der Welt des Sports und vor allem angesichts ihrer Globalität. Die Regeln der Sportverbände regeln nämlich nicht nur die Beziehungen innerhalb der EU, sondern legen auch die Regeln für das Funktionieren der ganzen Welt fest. Es ist daher höchst wünschenswert, die Entscheidung von Streitigkeiten in der Zuständigkeit spezialisierter Gremien zu belassen, die sich auf die bereits heute komplexen Regeln des Sports konzentrieren.

Es ist derzeit nicht vorstellbar, dass Sportstreitigkeiten von den Gerichten der Mitgliedstaaten anstelle von spezialisierten Fachgremien entschieden werden sollten. Dies würde nicht nur zu inakzeptablen Verzögerungen führen, sondern unserer Meinung nach auch zu einer falschen rechtlichen Beurteilung der betreffenden Streitigkeiten. 

Auch wenn die CAS-Schiedsgerichtsklausel als von den Sportverbänden aufgezwungen erscheinen mag, ist darauf hinzuweisen, dass ein Sportler, der Sport auf höchstem Niveau betreiben möchte, zu diesem Zweck einem der Sportverbände beitritt. Für die ordnungsgemäße Ausübung seiner sportlichen Tätigkeit verpflichtet er sich somit freiwillig im Sinne des Fairplay zur Einhaltung der Sportregeln, zu denen angesichts der Besonderheiten der Sportwelt auch die Entscheidung von Streitigkeiten vor dem CAS gehört. Dies dient der Gewährleistung einer einheitlichen Entscheidungsfindung in Fällen, die sich aus Regelverstößen innerhalb der gesamten Welt ergeben. Dieses Vorgehen gewährleistet unserer Meinung nach auch für die Sportler selbst die Rechtsvorhersehbarkeit in sportlichen Beziehungen. Wir sind daher der Ansicht, dass es sich nicht um eine im eigentlichen Sinne erzwungene Schiedsklausel handelt. 

Es wird daher interessant sein zu beobachten, wie der EuGH in dieser Sache entscheiden wird und inwieweit er sich an die Bewertungen und Empfehlungen der Generalanwältin halten wird.

Mgr. Lukáš Procházka, Rechtsanwaltsreferendar

Mgr. Tereza Picková, Rechtsanwältin